den idealen Träumern die Wirklichkeit hart und schroff gegenüber. Das Theater wurde nicht gebaut, Richard Wagner mußte aus München hinaus, und so wurde im entlegensten Winkel des Königreichs jener Kunsttempel errichtet, der bald zu einem Mekka für die ganze musikalisch-dramatische Welt zu werden bestimmt war. Bayreuth erhielt jenes königliche Geschenk, welches München kurzsichtig von der Hand gewiesen hatte.
Erst jetzt, mit Beginn des neuen Jahrhunderts erstand auf der Höhe des Gasteig jenes Wagnertheater als "Prinz-Regenten-Theater". - - -
So wie für die Reichshauptstadt, so bildeten auch für die Entwicklung Münchens die Jahre 1870/71 den denkwürdigen Markstein seiner beginnenden Entwicklung in’s Große.
Der denkwürdigste Tag ist da der 27. Juli, an dem Kronprinz Friedrich Wilhelm nach München kam, um offiziell die beiden bayerischen Armeekorps unter seinen Befehl zu nehmen.
Stürmischer Jubel durchbrauste München in jenen Tagen. Am 30. November richtete König Ludwig das denkwürdige Schreiben an die deutschen Fürsten und Senate der freien Handelsstädte, worin die Wiederaufrichtung der deutschen Kaiserwürde angeregt wurde.
Und München hatte seinen vollen Antheil an jener herrlichen Zeit, da der große Krieg beendet und die siegreichen bayerischen Truppen durch von von Ludwig I. erbaute Triumphpforte unter Führung des Kronprinzen von Preußen ihren Einzug hielten. Unter dem Standbild seines Großvaters nahm der König hoch zu Roß diese glänzende Parade der heimkehrenden Sieger ab.
Und da die Kriegsfurie vertrieben war, so lebten Kunst, Handel und Industrie in München mit erneuter Kraft auf. Das alte, ehrwürdige Rathhaus war schon lange zu eng geworden und ein neues Prachtgebäude am Marienplatze war unter Leitung seines Schöpfers, des Architekten Hauberrisser, entstanden, das jetzt, nach kaum einem Vierteljahrhundert schon wieder zu klein geworden, seiner Ausgestaltung nach der Weinstraße zu entgegengeht.
Um die Stadt München selbst aber wob sich unter Ludwigs Zeiten weiter der Zauberschein der Romantik. Der König wurde immer menschenscheuer, in seinen Hoftheatern mußte für ihn allein bei vollständig verdunkeltem Zuschauerraum gespielt werden, nächtliche Fahrten nach seinen Wunderschlössern in den Bergen gaben reichen Stoff zu phantastischen Erzählungen, und auch in München selbst ließ er sich mit großen Kosten auf dem Dache des neuen Residenzbaues gegen den Hofgarten zu ein Tusculum bauen, einen Wintergarten voll märchenhafter Pracht, wo er oft tagelang allein weilte und sich nur hie und da an den Sphärenklängen Wagner'scher Musik entzückte, die seine Hofkapelle wohlverborgen aufführen mußte.
Seine Märchenbauten hatten aber endlich nicht nur alles Baargeld verschlungen, sondern die Kabinetskasse mit 13½ Millionen Mark belastet! "Wieder die rauhe Wirklichkeit - und keine Hilfe!" So kam, was kommen mußte. Der Wahnsinn, der schon seit langen Jahren sein Opfer heimtückisch umschlichen, brach offen aus, unheimliche Gerüchte mahnten an das Nahen der Katastrophe. Am 4. Juni 1886 erhielt der Obermedizinalrath und Kreisirrenarzt v. Gudden den Auftrag, den König in Hohenschwangau zu beobachten.